Wasssersuppen (Nemanice)

© Dr. Markus Gruber

Wassersuppen, links das kleine Friedrichshütten, im Hintergrund Althütten.
Wassersuppen, links das kleine Friedrichshütten, im Hintergrund Althütten.

Frühgeschichte und Ortsnamen

 

Wassersuppen (Nemanice) war nie ein bayerisches Dorf, sondern wurde als Grenzbefestigung der Choden gegründet, die als slawischstämmige Wächter zwischen Pfraumberg (Přimda), Tachau (Tachov) und Taus (Domažlice) seit etwa 1300 die Grenze zwischen dem heutigen Bayern und Böhmen sicherten. Ende des 16. Jahrhunderts kam es zu einer letzten ‚Gründungswelle’ chodischer Dörfer, als zehn sogenannte Königsdörfer neu besiedelt wurden, darunter auch Wassersuppen. Diese Stützpunkte sollten die Grenze zu Bayern sichern, zumal schon vor 1600 auf bayerischer Seite die Dörfer Schmalzgruben (Nemaničky) und Haselbach (Lísková) entsprechend als Grenzbefestigungen installiert worden waren: Die Grenze verlief damals noch weiter im Landesinneren des heutigen Tschechiens. Bemerkenswert ist, dass anscheinend von Anfang an der geläufige tschechische Ortsname „Nemanice“ verwendet wurde, wie auch die Ortsnamen der anderen Königsdörfer in ihrer tschechischen Form erscheinen, wie Korytany (Rindl, eigentlich Rinnl) und Mysliwo (Schneiderhof). Und sogar der so komisch anmutende deutsche Name „Wassersuppen“, der scheinbar auf die Armut der Bewohner anspielt, die sich nur dieses armselige Breigericht zubereiten konnten, könnte sprachlich gesehen tschechisch-slawischen Ursprungs sein: Im Mittelalter war der Anführer einer slawischen Sippe (župa, „Gespanschaft“) der Župan („Suppan“). Und „Dorf“ heißt auf tschechisch „ves“ bzw. „vas“: Das „Dorf des Župan“, wo die Sippe ihren Hauptsitz hatte, wäre demnach „vas Župa“. Spricht man dies als ein einziges Wort aus, so kommt man über „wassupan“ vielleicht zu „Wassersuppen“. Denkbar ist, dass die ersten deutschen Siedler den alten tschechischen Namen in ihrem Sinne umdeuteten.

Auch wenn also Nemanice-Wassersuppen im Mittelalter, durchaus bedeutsam am Lauf der Schwarzach und unter der Ritterburg Hirschstein gelegen, ursprünglich slawisch besiedelt gewesen sein könnte (worüber aber keine schriftlichen Quellen existieren) und kurz vor 1600 verwaltungsmäßig von der Stadt Taus aus als Stützpunkt der Choden gegründet wurde, so waren die ersten namentlich bekannten Siedler doch Deutsche: Wolf Altmann, Fabian und Paul Čipera (= Zipperer) und Krystel Kromer. Diese vier gelobten 1591 in Taus „Treue, Untertänigkeit und Leibeigenschaft“.

 

Wassersuppen wächst - ein Schmelztiegel für Siedler, Flüchtlinge, Soldaten

 

Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) und noch weit darüber hinaus, bis um 1800, lässt sich aus den Taufmatrikeln nachweisen, dass in Wassersuppen Militär stationiert war oder aber ehemalige Soldaten dort angesiedelt wurden, auch Invaliden. Ferner fällt auf, dass der junge abgeschiedene Ort auch zur Zufluchtsstätte für Kriegsflüchtlinge aus dem Landesinnern von Böhmen oder auch der Oberpfalz wurde. Ein wichtiges Zeugnis stammt von 1630: „Die Kolonisten haben mit Bewilligung der Stadt Taus einen ganzen Berg auf Felder ausgebrannt und hier vier neue Häuser gebaut. ... Es sind das meist Multerer [Erzeuger von Backmulden], Aschenbrenner, Schüsselmacher, Schindelmacher, Köhler und ähnliche Handwerker, die den Wald vernichten.“ Die insgesamt 13 Siedler waren damals Untertanen des katholischen Geschlechts Lamingen mit Sitz in Weißensulz (Bělá nad Radbuzou) und Heiligenkreuz (Újezd Svatého Křiže). 1697 wurde die Herrschaft Chodenschloss und damit auch Wassersuppen an den Dechanten von Würzburg verkauft, den Freiherrn Georg Heinrich von Stadion. 1722 kam es zu einer Herrschaftsteilung: Die Friedrichsche Linie derer von Stadion blieb in Chodenschloss und behielt das alte Chodenland, während die Philippinische Linie das „Wald-Königreich“ mit den deutschen Dörfern von Kauth (Kout na Šumavě) aus regierte. Deshalb erscheinen in den Wassersuppener Matrikeln auch noch in neuerer Zeit immer wieder Hinweise auf Chodenschloss und Kauth, wenn zum Beispiel minderjährige Waisen in der Obhutschaft des Grafen waren.

Eine weitere wichtige Quelle ist die Steuerrolle (Berní rula) von 1654, ein Untertanenverzeichnis, welches elf Kleinbauern (Chalupner) mit überwiegend deutschen Nachnamen aufführt: Nikolaus Schaller, Johann Rumell, Johann Paul, Martin Paul, Johann Konrad, Lorenz Mayer, Johann Rummel, Simon Schebrak, Georg Schimek, Johann Reutter (Reiter, neuer Siedler 1653), Martin Bauer (abgebrannt). Der Bericht einer Steuerkommission von 1679 gewährt Einblick in die Armut: „Dieses Dorf ist hinter dem Böhmischen Wald gelegen, an winterlichem Ort, Felder 3. Klasse. Oft fault ihnen durch den lang liegenden Schnee das Getreide aus, die Wiesen sind morastig. Die Gebäude sind erbärmlich. Bei der Glashütte gibt es Arbeit … , nämlich Holzmachen“. Die erwähnte Glashütte stand östlich des Ortes in Richtung auf das spätere Dorf Althütten.

Im Jahre 1698 wies Wassersuppen dann 18 Häuser auf. Für das Jahr 1713 sind 21 Namen erwähnt: Nachtmann, Roidl (Roidmühle?), Schaller, Rausch, Reiter, Weber, Schlögl, Bauer, Stoffl, Herbrig, Eckhart, Schubert, Eckl, Ruß, Hartl, Achatz, Brechtl, Peimbl, Sadler, Wagner, Zangl. Wir sehen also nun schon Namen von Familien, die bis zur Vertreibung in verschiedenen Orten der Pfarrei lebten. Ein ehemaliger Bewohner kann bestätigen, dass in seinem Fall neun Generationen ununterbrochen auf dem Hof waren. 

Pfarrei Wassersuppen – Kirche St. Johannes Nepomuk

 

Im 17. Jahrhundert gehörte Wassersuppen noch zur Pfarrei Klentsch. Der Kaplan kam von dort zu Pferde, und der Wirt von Mauthaus hatte ihn zu verköstigen und das Pferd zu füttern. Meistens aber ging man in das leichter erreichbare Waldmünchen in die Kirche, wo ja auch auf deutsch gepredigt wurde. Im Jahre 1658 klagte der Waldmünchner Stadtpfarrer, dass jetzt auch noch Leute aus Böhmen in die kleine St.-Magdalenen-Kirche im Schloss kämen. Eine interessante Frage ist die der konfessionellen Zugehörigkeit in dieser unruhigen Zeit. Waldmünchen war von 1556 bis 1626 protestantisch-kalvinisch. Damals aber, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, kamen die ersten Familien nach Wassersuppen, und teilweise waren es Flüchtlinge aus dem protestantischen Böhmen. Auf der Anhöhe in Richtung Heinrichsberg soll sich dort, wo ein großer Birnbaum stand, ein protestantischer Friedhof befunden haben (später „Friedhofsacker“ genannt). Laut Pfarrer Pittner führten sich noch im 19. Jahrhundert einige alte Familien auf Protestanten zurück.

Im Raum Wassersuppen gab es anfangs zwei Kapellen, „una silva Hercynia dicata beatae Virgini Mariae, secunda in Wassersuppen, dicata St. Joh. Nepomuk“, zu deutsch: „Die eine im Böhmerwald (am Hirschstein), der seligen Jungfrau Maria geweiht, die andere in Wassersuppen, geweiht dem Heiligen Johannes Nepomuk.“  Die erste, ältere Kapelle war die Waldkapelle Mariä Heimsuchung am Hirschstein, wo sich bis nach 1945 die Einsiedelei mit dem Namen „Kapellen“ erhalten hatte (Neubäuhütten Nr. 38). Ursprünglich soll dort ein Stockauer Eremit gelebt haben, der dem Kloster Stockau zugehörte. Erbaut worden sein soll das Kirchlein von Pfarrer Steier aus Klentsch im Jahre 1692, umgebaut wurde es 1745, ehe durch Kaiser Joseph II. 1787 die Aufhebung erfolgte. Heute ist von der Einsiedelei nur eine Waldwiese übrig geblieben, doch erinnert ein Gedenkstock (dem Hl. Eustachius geweiht) an die Kapelle.

Die zweite Kapelle befand sich in Wassersuppen am Ort der heutigen Kirche und wurde 1704 aus Holz errichtet, ehe am 12.1.1718 die Weihung einer aus Stein erbauten Kirche erfolgte. Patron war das Geschlecht Stadion. Zunächst stellte man von Klentsch aus einen „Capellanus expositus“ an. Der erste Kaplan Thädeus Kayser wohnte zusammen mit einem Eremiten, der die Kinder unterrichtete, im Pfarrhaus. Unter Johann Franz Küttner wurde Wassersuppen im Jahre 1758 eine eigene Pfarrei. In diesem Jahr beginnen auch die Matrikeln. Von 1772 bis 1785/87 waren auch Hirschsteinhäusl und Nimvorgut nach Wassersuppen eingepfarrt, seit 1782 auch Schmalzgruben, Haselbach, das Jägerhaus „Gränzhut“, Grafenried, Anger, Seeg und Haselberg. Schon 1786 bekam aber Grafenried mit den drei letztgenannten Dörfern eine eigene Pfarrei. Die zeitweilige Zugehörigkeit der alten Hofmark hat dem Wassersuppener Seelsorger und ersten Pfarrer Küttner „viel Verdruss, Ärger, Feindschaft und Schreibereien gebracht“. Angeblich leitet sich der Scherzname „Routaigler“ (= Rotaugen) aus dieser Zeit ab, denn die Grafenrieder weinten, als sie von Wassersuppen wieder weg mussten. Die Pfarrei Wassersuppen umfasste jetzt Althütten, Friedrichshütten, Mauthaus, Neubäu, Neubäuhütten, Kreuzhütten, Haselbach, Schmalzgruben, Heinrichsberg und Sophienthal (mit der Sophienhütte); damals 2.448 Katholiken und 17 sogenannte Andersgläubige. Auch Bewohner von Höll gingen in die Kirche St. Joh. Nepomuk und ließen dort ihre Neugeborenen taufen. Anzufügen ist, dass 1938 die Pfarrei zum Dekanat Waldmünchen kam.

Die Geistlichen und Pfarrer der Pfarrei Wassersuppen: Ab 1758 wirkten als Kapläne und Administratoren in der Expositur zunächst Adalbert Fischer, Antonius Bauer und Antonius Kunert. Namen und Amtsjahre der Pfarrer: 1772-1788 Johann Franz Küttner (seit 1786 Pfarrer), 1788-1817: Stefan Mester, 1817-1829: Joseph Reithmayer, 1829-1841/42: Matthias Pittner, 1842-1845: Simon Reischek, 1846-1855: Thomas Kortus, 1856: Jakob Fischer, 1857-1870: Johann Kundert, 1871-1873: Franz Veselý, 1873-1879: Johannes Schmuha, 1880: Martin Hastreiter, 1880-1904: Franz Hodan, 1905-1938: Franz Kordik, 1938-1946: Franz Wittmann. Von 1908 bis 1938 war Jan Parkos Kooperator, der von den Nationalsozialisten regelrecht vertrieben wurde.

Der vorletzte Pfarrer von Grafenried, Michael Ring (1862-1937), stammt aus Schmalzgruben.

Nach der Vertreibung der deutschen Bewohner 1946 wurde die Pfarrei Nemanice aufgelöst, die Kirche aber zum Glück nicht abgerissen wie etwa in Grafenried oder Waier. Angeblich war dies darauf zurückzuführen, dass der langjährige Pfarrer von Klentsch Jan Harant regelmäßig Gottesdienste abhielt. Daher verfiel die Kirche auch nicht (es lassen sich sogar Bemühungen um die notwendigsten Reparaturarbeiten nachweisen), sondern kam "nur" in einen schlechten Zustand.

Nach der Grenzöffnung wurde St. Johannes Nepomuk in Abstimmung zwischen den ehemaligen Bewohnern (federführend war die Kameradschaft „Dö Zünftigen“ Waldmünchen), tschechischen Behörden und den Diözesen Regensburg und Budweis renoviert. Immer noch finden regelmäßig Gottesdienste statt – zelebriert vom Klentscher Pfarrer, wie in der alten Zeit, als Wassersuppen noch keine eigene Pfarrei war.

 

Vom 18. ins 20. Jahrhundert: "Industrialisierung" in und um Wassersuppen

 

Dass Wassersuppen eine eigene Pfarrei wurde, hat natürlich mit dem Bevölkerungswachstum zu tun. Dennoch bot die karge Gegend den Bewohnern nur wenig Brot und Arbeit aus Landwirtschaft und Handwerk (Herstellulng von Holzschachteln, Spitzenklöppeln, Mithilfe als Erntehelfer beim Hopfenzupfen). So schreibt Schaller (1789):  „Wassersuppe, ehedem nur eine Glashütte [Althütten], jetzt ein Dorf von 53 Nummern, mit einer neu erbauten Kirche zu St. Johann. Die Nahrung des hiesigen Landmannes bestehet hauptsächlich in Leinwand- und Garnbleichen, wie auch im Zuschnitzen der Buchbinderbrettel und der Schusterstöckel. Der Feldbau gerät hier des kalten Bodens wegen sehr schlecht, das nötige Brot muß größtenteils erkauft werden.“ Und Sommer berichtet über Wassersuppen im Jahre 1839 folgendes:  „Wassersuppen (wahrscheinlich ein verstümmelter, böhmischer Name), 5 1/2 Stunden westnordwestlich von Kauth, im Thale zwischen dem Schauerberge und dem südlichen Ende des Bärnsteiner Bergrückens, Dorf von 59 Häusern mit 602 teutschen Einwohnern, hat 1 Pfarrkirche zum heil. Johann von Nepomuk, 1 Pfarrei und 1 Schule, sämtlich unter dem Patronate der Obrigkeit; 1 Mühle im Orte (Baiermühle, auch Bojermühle) und 1 andere (Radel- oder Roidelmühle) 1/2 Std. nördlich. … Die Einwohner dieses ganzen, im Böhmerwalde und rauher Gegend gelegnen Pfarrbezirks haben nur wenig Ackerbau, und leben hauptsächlich von Flachsspinnerei, Weberei, Verfertigung verschiedener Holzwaren und von Arbeiten bei den hiesigen Glashütten.“ Den Zustand im Jahr 1862 beschreibt Trajer (1862):  "Wassersuppen (Nemanice), 62 Häuser, 720 Katholiken, 3 Akatholiken [= nichtkatholische Christen wie Protestanten], 7 Israeliten, Kreis Pilsen, Bezirk Taus, ehemals Dominium [Herrschaft] Kauth-Chodenschloß, Post Klentsch. Pfarre mit 3.505 Katholiken … Patron der Pfarre und Kirche: Rudolf und Friedrich, Grafen von Stadion. Patronats-Amt zu Kauth. In der Nähe des Pfarrortes ist die Roidelmühle." Der Hinweis auf "7 Israeliten", also Bewohner jüdischen Glaubens, bezieht sich auf die Fabrikantenfamilie Österreicher - die um 1840 von Muttersdorf (Mutěnin) nach Wassersuppen zog nun dem Dorf durch die Ansiedelung von Industriebetrieben einigen Aufschwung brachte. In der "Unteren Fabrik"und der "Oberen Fabrik" am Ortsausgang, im Ortsteil Wilhelmshof, wurden seit etwa 1876 Stanniolkapseln für Flaschen und Spiegelfolien hergestellt (wobei schon zuvor ganz in der Nähe ein Zinnfolienhammer von der bedeutenden Glasmacherfamilie Ziegler errichtet worden war) sowie Zündhölzer, Goldleisten und Bilderrahmen produziert. Um 1900 arbeiteten etwa 120 Personen für den Firmenchef Heinrich Österreicher. Die Stanniolflaschenkapseln waren ein ausgesprochener Exportartikel und wurden bis nach Südamerika und Japan exportiert. Abgewickelt wurde der Warenverkehr über den Bahnhof Waldmünchen.

Diese Industrieneugründung war auch insofern wichtig, als die Glasindustrie schon vor 1900 ihren endgültigen Niedergang erlebte; viele Familien wanderten nach Amerika aus. Schon um 1700 war es zu einer Gründungswelle von kleinen Glashütten gekommen, aus denen die Dörfer Althütten, Mauthaus, Neubäuhütten, Kreuzhütten und Heinrichsberg entstanden. Im 19. Jahrhundert entdeckten dann geschäftstüchtige Industrielle den Böhmerwald mit seinem reichen Waldvorkommen, um hier Glashütten und die zugehörigen Veredelungsbetriebe wie Schleif- und Polierwerke einzurichten.Dabei bedienten sie sich der Arbeitskraft der Einwohner, war doch die Gegend dicht besiedelt. Es kamen aber auch qualifizierte Facharbeiter aus Bayern in die Gegend. Nun entstanden die Orte Friedrichshütten und Sophienthal, und das alte Dorf Haselbach wurde durch den Bau von insgesamt 19 Werken entlang dem Schwarzbach zum bedeutendsten Standort. Die Familie Ziegler erlangte großen Ruhm. Freilich konnte die Grenzregion mit den neuen Methoden von Herstellung und Vertrieb dann nicht mehr mithalten, so dass die Sophienhütte einging und die Haselbacher Glaswerke ihren Betrieb nach und nach einstellten. Als die Firma Ziegler in Konkurs geriet, erwarb Heinrich Österreicher im Jahre 1917 deren gesamten Besitz mit allen Grundstücken und den Werken in Haselbach, Kreuzhütten, Münchsdorf und Nürschan für 360.000 Kronen. Diese Firma hieß nun „Spiegelglas-, Schleif- u. Polierwerke Haselbach, Ronsperg und Schüttwa“, warf aber keinen großen Gewinn mehr ab. Am 20. Juni 1920 starb Heinrich Österreicher. Der erfolgreiche Unternehmer hinterließ seinem Sohn Richard Österreicher ein Imperium, einschließlich der markanten Villa am Ortseingang von Wassersuppen. In den 1920er Jahren gelang es Österreicher, die Produktion von Stanniolkapseln und Holzrahmen wieder aufzubauen. Mit der Annexion des Sudetenlandes durch das Dritte Reich emigrierte die Familie Österreicher nach Nordamerika - ein dunkles Kapitel in der Geschichte von Wassersuppen: Die Familie hatte 100 Jahre lang vielen Menschen Arbeit gegeben, den Ort durch die neuen Zeiten der wirtschaftlichen Revolution geführt und das öffentliche Leben gefördert. Die Stanniolkapselfabrik wurde schließlich von der Firma „Rosenthal Isolatoren“ Selb gekauft, die hier einen Rüstungsbetrieb einrichtete. Die Österreicher-Villa übernahm die Gemeinde, welche dort die Gemeindekanzlei und Portierräume einrichtete; die übrigen Räume wurden als Wohnungen vermietet. Bemühungen der Österreichers nach 1945, ihren Besitz wieder zu bekommen, wurden von der neuen tschechoslowakischen Verwaltung abgeschmettert. Nach der Vertreibung wurde ein Teil der Fabrikgebäude zum Lagern von Heu und Stroh und die Kapselfabrik schließlich als Kuhstall benutzt; mittlerweile ist das Gebäude nur noch eine Ruine. Die "Obere Fabrik" stand noch längere Zeit, bis kurz vor 1990. Die Österreicher-Villa wurde zur Kaserne umfunktioniert und ist heute in erbärmlichen Zustand.  

 

Wassersuppen im 20. Jahrhundert: Ein intaktes Dorf "mit allem, was dazugehört"

 

Im Jahre 1910 zählte Wassersuppen selbst, dessen Gemarkung 831 Hektar hatte, 89 Häuser mit 837 Einwohnern. Nach dem Ersten Weltkrieg waren es 811 Bewohner, 1930 wegen der Wirtschaftskrise nur 596 und 1939 dann wieder 880 Einwohner. Am 31.12.1944 schließlich hatte der Ort Wassersuppen 108 Hausnummern, fast alles freistehende Wohngebäude. In den 1930er und 1940er Jahren gab es in Wassersuppen neben den drei Fabriken folgende angemeldete Gewerbebetriebe: Vier Bäcker, zwei Fleischer, vier Fuhr- und Mietautofirmen, vier Gasthäuser, sechs Gemischtwarengeschäfte, Holzschachtelexport (Anton Strecker, zugleich Vertrieb von Spitzen), Fellhandlung, Friseur, Säge (Roidlmühle), Schmiede, Schneider, zwei Schnittwarengeschäften, zwei Schuster, zwei Tabattrafiken, drei Tischler. Ferner sind verzeichnet die Kreiskonsumgenossenschaft „Vorwärts“ und der „Spar- und Darlehenskassenverein für Wassersuppen und Umgebung“. Nicht zu vergessen ist auch eine Freiberuflerin, die Hebamme Theresia Rebitzer.

Die letzten Bürgermeister der Gemeinde Wassersuppen:

1905-1909 Franz Stoffl, 1909-1913 Anton Penl, 1913-1919 Matthias Maurer, 1919-1927 Franz Rubey, 1927-1946 Wilhelm Hossinger.

Bei der Volkszählung 1930 betrug die Einwohnerzahl der Orte der Pfarrei, gegliedert nach den drei politischen Gemeinden, 2.474 (mit Gibacht: 2.698):

- Wassersuppen: 596, Friedrichshütten: 106, Althütten 238

- Haselbach: 449, Heinrichsberg: 250, Sophienthal: 222, Schmalzgruben: 59

- Mauthaus: 188, Neubäu 99, Neubäuhütten 232, Kreuzhütten 35, Gibacht: 224

 

Eine einklassige Schule bestand in Wassersuppen seit 1789; das heute noch stehende Schulgebäude wurde 1831 erbaut und musste wegen der vielen Kinder laufend erweitert werden, bis die Schule Wassersuppen, in die auch die Kinder von Neubäu, Neubäuhütten, Friedrichs- und Althütten gingen, sechs Klassen umfasste. In der Zeit von 1920 bis 1946 wirkten unter anderem folgende Lehrer in Wassersuppen: Die Oberlehrer Anton Fischer, Christof Fischer, Franz Herdegen (letzter Schulleiter), die Lehrer Alois Kreiner, Johann Kreiner, Franz Hofmann, Josef Kust, Eduard Hell, Rudolf Stich, Fritz Zeug, und die Lehrerinnen Maria Pinterowitsch, Luise Rippel, Hermine Gleißner, Anna Herdegen und Cäcilia Zeug.

Sogenannte Expositurschulen, „ausgelagerte“ Dorfschulen, gab es wie folgt (Stand 1936):

- Sophienthal (mit Heinrichsberg): schon sehr früh, neues Gebäude 1880, zuletzt Oberlehrer Josef Hoffmann, Lehrerin Anna Herdegen, Handarbeitslehrerin Paula Wagner, pensioniert: Anna Trinkmann, 2 Klassen, 72 Schüler.

- Haselbach: seit 1877 (erster Lehrer: Joseph Herdegen), Oberlehrer Anton Schröpfer, Lehrer Robert Gleißner, Handarbeitslehrerin Paula Wagner, 2 Klassen, 59 Schüler. Weitere Lehrer: Johann Tragl, Beck, Hofmann, Semmelbauer.

- Neubäu: seit 1877 (Aushilfslehrer: Johann Schaller), die Expositur existierte nur kurz.

- Mauthaus: seit 1907 (erster Lehrer: Johann Robl), 1918 selbständig. Das schmucke Gebäude war unterhalb des Ortes direkt an der Straße.

Weitere Exposituren waren in Hirschsteinhäusl und Nepomuk. In Kreuzhütten gab es eine eigene Fabrik-/Privatschule mit 18 Kindern schon 1839.

Einige tschechslowakische Minderheitenschulen wurden in den 1920er Jahren eingerichtet. Diese sollten auch Kinder ärmerer deutscher Familien besuchen, deren Eltern im Gegenzug für diverse Vergünstigungen (Schulspeisung, Bekleidung, freie Lehrmittel) die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit annehmen sollten:

- Neubäuhütten (1924, bald wieder aufgelassen)

- Friedrichshütten (1924, mit Kindergarten)

- Haselbach (1926)

 

Das Vereinswesen war breit ausgebaut, allem voran die Freiwillige Feuerwehr, die eine gesellschaftlich integrative Funktion übernahm. Wirtshäuser gab es fast in jedem Dorf, allein in Wassersuppen vier. Postämter wurden in Haselbach 1887, in Wassersuppen 1893 eingerichtet. Das allererste Telegramm soll der „alte Böimseff“ aus Schmalzgruben an seine „Alte“ in Haselbach aufgegeben haben, nachdem er dort auf einer Bierreise gelandet war. Der Text lautete: „Alte, hoch! Der Boimseff sitzt in Hoslboch.“ Die Trinkwasserversorgung erfolgte durch Quellen vom Schauerberg und Hirschstein herab; die einzelnen Häuser hatten tiefe Brunnen, die heute in den zerstörten, von Wald überwucherten Dörfern eine gewisse Gefahr darstellen, z.B. in Mauthaus. Einen Arzt konnte man nur in Taus oder Waldmünchen konsultieren, jedoch gab es professionelle „Gesundbeterinnen“ und „Kräuterweiber“. In einer Mixtur aus althergebrachter Magie und einfachen Hausmittel sollten die Leiden behandelt werden. Die Kost der Bauern war einfach, aber ausreichend und soweit gesund, dass die Menschen nicht etwa vorzeitig verstarben, wie die Pfarrmatrikeln zeigen. Technische Neuerungen wie die ersten Autos, ein Fahrrad oder das Grammophon erregten in den abgeschiedenen Böhmerwalddörfern naturgemäß großes Aufsehen.

 

1918, 1938, 1946, 1990: Wendejahre für Wassersuppen

 

Die drei Gemeinden Wassersuppen, Mauthaus und Haselbach hatten es in der Geschichte nie leicht. Immer wieder waren sie durch ihre Grenzlage von der großen Politik betroffen und wurden deren Spielball. Sie mussten mit allerlei Gegensätzen leben: Der Pfarrort war, wie gesagt, vom böhmischen Taus aus gegründet worden, wurde aber mit Deutschen besiedelt; dagegen waren Haselbach und Schmalzgruben einst bayerisch. Mauthaus gehörte zum „deutschen“ Kreis Bischofteinitz, Wassersuppen und Haselbach dagegen zum „tschechischen“ politischen Bezirk Taus. Doch lange Zeit scheint sich die Verschiedenheit der Herkunft zwischen den deutschstämmigen Siedlern und den Tschechen im Chodenland nicht bemerkbar gemacht zu haben. Im Ersten Weltkrieg kämpften Sudetendeutsche und Tschechen gemeinsam in der Kaiserlichen Armee in Russland, Serbien und Italien. Mit der Gründung der Tschechoslowakei 1918/19 kam auch Wassersuppen unter tschechische Verwaltung, die insbesondere über das Schulwesen Einfluss zu nehmen versuchte. Die Spannungen verschärften sich auch innerhalb der deutschen Bevölkerung, eine kommunistische Partei entstand. Die Armut, v.a. im Zuge der Weltwirtschaftskrise, und das Gefühl der Benachteiligung trieb in den 1930er Jahren schließlich viele Bewohner zur Sudetendeutschen Partei des Konrad Henlein, die nur ein verlängerter Arm Hitlers war. Auf der anderen Seite stand ein Anteil von immerhin 10%, die sich zur tschechischen Nationalität bekannten. Der nationale Hass schaukelte sich immer weiter hoch, die Kriminalität in der Grenzregion war beängstigend hoch; 1930 wurde gar ein Doppelmord an einem Wirtsehepaar begangen. Im Schicksalsjahr 1938 kam es im September zu Schießereien, als an der „Deitschbauernreim“ in Haselbach der Finanzbeamte Röhrich von deutschen Freikorps-Partisanen erschossen wurde. Bei der Roidlmühle fiel Josef Paa auf der Rückkehr von einer Parteiveranstaltung der SDP einem Mordanschlag zum Opfer, der wohl von jenseits der Grenze, also von Nationalsozialisten, in Auftrag gegeben worden war, um die Situation weiter anzuheizen. In diesen Tagen wurden Sudetendeutsche zum tschechoslowakischen Militär eingezogen, manche setzten sich nach Waldmünchen ab und wurden prompt in das „Sudetendeutsche Freikorps“ eingegliedert. Nach dem Münchner Abkommen marschierten Anfang Oktober Wehrmacht und Freikorps unter frenetischem Jubel der Bevölkerung über Haselbach und Grafenried ein. Danach kamen die drei Gemeinden des Pfarrsprengels zunächst zum Landkreis Markt Eisenstein, 1940 dann zu Waldmünchen, dessen Hinterland sogar durch rein tschechische Gemeinden wie Klentsch (Klenčí), Chodenschloss (Trhanov) und Possigkau (Postřekov) erweitert wurde – verständlich, dass dies und die nun einsetzende Diskriminierung der Tschechen am Ende für böses Blut sorgen musste. Bekanntlich hatte Hitler das Abkommen gebrochen und im März 1939 auch noch die sogenannte Rest-Tschechei besetzt. Die jüdischen Familien Österreicher und Bloch mussten fliehen, ihr Besitz wurde konfisziert und auch an Ortsansässige verkauft. An das Ladenfenster von Friedrich Bloch schmierte man „Jude“. Widerstand gegen das NS-Regime beschränkte sich offenbar auf die Person des Karl Geiger von der Bojermühle. Der intelligente, künstlerisch begabte Schöngeist wurde als "Kommunist" ins Konzentrationslager Dachau deportiert und durfte nach 1946 als "Antifaschist" in seiner geliebten Heimat Wassersuppen bleiben, wo er nun aber als einer der wenigen verbliebenen Deutschen isoliert war. Wie überall in Deutschland profitierten auch in Wassersuppen Einwohner vom Nationalsozialismus oder passten sich an. Die Haltung der breiten Masse aber war, vor allem in den letzten Kriegsjahren, von Willenlosigkeit und Angst geprägt. Immer häufiger erreichten Todesmeldungen von der Front die Böhmerwalddörfer. Unter Heranziehung aller verfügbaren Quellen ist die Zahl der gefallenen und vermissten Wehrmachtsangehörigen der Pfarrei Wassersuppen mit mindestens 220 anzugeben – ein ungeheurer Blutzoll, der einem Bevölkerungsverlust von fast 10% entspricht. Das ist überdurchschnittlich hoch. Fast alle starben als einfache Soldaten im Heer an der Ostfront: Sie waren das Kanonenfutter für Hitlers Rasse- und Vernichtungskrieg. Aus dem bis 1938 zu Mauthaus gehörenden Gibacht (Hirschsteinhäusl) sind mindestens 17 weitere gefallen. Hinzu kamen mindestens fünf Zivilopfer nach Kriegsende, die verschleppt worden waren und vermisst blieben. Fotos fast aller Gefallenen kann man in der Waldmünchner Stadtpfarrkirche sehen.

Bei Kriegsende im April 1945 war das Gebiet um Wassersuppen Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen der 11. deutschen Panzerdivision und der 90th US Infantry Division. Nach der Übernahme der Verwaltung durch die tschechischen Behörden („Místní národní výbor“, MNV, „Lokaler Gemeindeausschuss“) gingen die Bewohner ihrer regulären Arbeit nach, die Männer kehrten aus dem Krieg heim. Niemand konnte sich vorstellen, dass eine Ausweisung in das total zerstörte „Reich“ erfolgen würde. Doch wurde dies im Frühsommer 1946 zur Gewissheit, und in mehreren Transporten erfolgte die Vertreibung über Furth im Wald, meist nach Westdeutschland, wo sich die Vertriebenen nun eine neue Existenz aufbauen mussten. Sie sahen sich von dem Spruch geprägt: „An echt’n Deitsch’n lout unsa Herrgott niat untergej, wenn er nu dazou a bisserl Baihmisch ko“.

Da es in Wassersuppen-Nemanice praktisch kaum tschechische Bewohner gab, wurden die Orte mit Siedlern aus dem gesamten Ostblock neu besiedelt. Dies waren zum einen Tschechen ganz aus der Nähe (Postřekov, Klenčí) oder aus dem Landesinneren, zum anderen aber Slowaken, Ungarn, Rumänen, Bulgaren und Russen. Darunter waren auch Repatrianten, tschechische Flüchtlinge, die man aus dem Ausland zurückholen wollte. Viele dieser osteuropäischen Familien waren selbst Opfer von Krieg und Vertreibung geworden, denn die Grenzen verschoben sich jetzt durch das Spiel der Mächtigen aufs Neue. Auch einige Roma-Familien („Zigeuner“) waren darunter, die den Völkermord der Nazis überlebt hatten. Eine Handvoll Deutscher tschechischer Nationalität durfte bleiben, so der „Bojermüllner“ Karl Geiger. In Archivdokumenten lassen sich die Bemühungen der Behörden nachvollziehen, die in der militärischen Sperrzone gelegenen Dörfer ein wenig attraktiv für die neuen Siedler zu machen, die ja kaum Bezug zu ihren neuen Wohnorten hatten; zudem herrschte zunächst ein ständiges Kommen und Gehen. Viele der alten Häuser fielen der Spitzhacke zum Opfer, Haselbach und Mauthaus wurden 1956/57 komplett, bis auf den letzten Grund, dem Erdboden gleichgemacht, wie auch Grafenried, Anger, Seeg, Haselberg und Gibacht. Heinrichsberg und Sophienthal (das bis 1960 eine eigene Gemeinde mitsamt Schule war!) wurden schließlich nach Klentsch eingemeindet. Im Jahre 1970 lebten in der Gemeinde („obec“) Nemanice immerhin noch 398 Menschen in 76 Häusern. Der Ort lag direkt am „Eisernen Vorhang“, der in Gestalt eines zweireihigen Drahtzauns buchstäblich vor der Haustür verlief. In Wassersuppen-Nemanice war auch die 10. Kompanie der 9. Brigade Domažlice der Pohrániční stráž, kurz PS, stationiert – Militär prägte das Grenzdorf wie schon hunderte Jahre zuvor! Auch neue Gebäude entstanden, so 1960 als Anbau zum Gasthaus Geiger ein Kulturhaus („kulturní dům“) für allerlei Veranstaltungen, natürlich auch politischer Art. Eine neue Schule wurde 1973 fertiggestellt. Was heute das Bild des häßlichen Nemanice prägt, die vier von 1969 bis 1972 errichteten Mehrfamilienhäuser, war für die damalige Zeit eine große Errungenschaft, da die Gebäude modernen Ansprüchen genügten. Arbeit gab es in der Landwirtschaft (Kolchose) und im Sägewerk Roidlmühle. Die Hoffnungen auf einen Aufschwung nach der Grenzöffnung 1990 erfüllten sich nicht, im Gegenteil: Allgemeine Entwicklungen, die Randlage der Gemeinde sowie strukturelle Eingriffe haben Wassersuppen-Nemanice nach 1990 schwer zugesetzt: Schule und Sägewerk wurden geschlossen, die Wohnblöcke verfallen, die Arbeitslosigkeit ist die höchste im ganzen Kreis, und die Verkehrsanbindung ist nach wie vor ein Problem. Allerdings ist die Geschichte der „untergegangenen Dörfer“ und die unberührte, teils seltene Tier- und Pflanzenarten bewahrende Natur im Tal der Böhmischen Schwarzach (Nemanický potok) zwischen Hirschstein und Čerchov der große Pluspunkt von Nemanice und machen die fast entvölkerte Gegend zu einem sehr attraktiven Ort für Ausflüge und Entdeckungen, so dass diese alte Kulturlandschaft weiterhin mit Leben erfüllt ist.