Die Lipizzaner nur als "Beifang"?

© Dr. Markus Gruber     Die Evakuierung der Lipizzaner aus dem Gestüt Hostau (Hostouň) bei Kriegsende 1945 war offenbar und buchstäblich nur ein „Beifang“ einer anderen Aktion. Der US-Offizier John E. Dolibois, Mitglied der „Ritchie Boys“, Befrager der NS-Verbrecher bei den Nürnberger Prozessen, hochangesehener Diplomat und später Vizepräsident der Miami University, schilderte in einem Videointerview, das unter anderem auf Youtube leicht zugänglich ist (Titel: "Amb. John Dolibois on Lipizzan Stallions"), folgendes: Ende April 1945 ergab sich der Oberst i. G. (= im Generalstab) Walter Holters, Leiter der „Auswertestelle Ost“ des Luftwaffenführungsstabes und seinerseits dem Leiter von „Fremde Heere Ost“ Reinhard Gehlen (späterer Gründer und Chef des Bundesnachrichtendienstes) unterstellt, den Amerikanern (2nd Cavalry), wohl im Raum Eslarn-Waidhaus an der heute deutsch-tschechischen Grenze. Da Holters aufgrund der gesammelten Informationen über die UdSSR und die Rote Armee im Vorfeld des sich abzeichnenden Kalten Krieges eine sehr wichtige Figur war, wurde er sogleich von John E. Dolibois befragt. Dabei kam das Gespräch auch auf die Lipizzaner, und so kam deren Rettung ins Rollen … Gestütsleiter Oberst Rudofsky, bei dem Oberst Holters am 25. April plötzlich erschien (wohl in Absprache mit Dolibois), und Stabsveterinär Dr. Lessing wussten von der Aktion auf höchster Ebene offenbar nichts.

 

Der Kontext war aber noch viel größer, wie in dem Buch von Sergej Fröhlich, General Wlassow. Russen und Deutsche zwischen Hitler und Stalin (Köln 1987), nachgelesen werden kann (v.a. S.243-245 u. S.279ff.): Der Antibolschewist General Viktor Iwanowitsch Malzew baute ab 1944 zusammen mit Oberst Holters und dessen Dolmetscher Adolf Idol die Luftwaffe der „Wlassow-Armee“ (ROA) auf. Mit im Spiel war da auch Generalleutnant Heinrich Aschenbrenner, Berater des Chefs des Generalstabs der Luftwaffe „in Angelegenheiten der russischen Freiwilligen“. Bei Kriegsende war diese russische Luftwaffen-Einheit zunächst im Raum Eger (Cheb), dann zog sie sich nach Neuern (Nýrsko) zurück. Generalleutnant Aschenbrenner hatte fest vor, mit den ROA-Leuten gegenüber den Amerikanern im Raum Cham zu kapitulieren (hierzu ein Detail, das in der „General Order“ 185 der 26th Infantry Division erwähnt wird: Während der Verhandlungen (23. bis 25. April) wurde ein amerikanischer Jeep beschossen, vermutlich von einem Vorposten der 11. Panzerdivision, zwei GI' starben).

Dem Sonderstab von Generalleutnant Aschenbrenner gehörten auch Hauptmann Theodor Oberländer (später Bundesminister für Vertriebene - wegen seiner NS-Vergangenheit musste er zurücktreten) und General Malzew an und hatte seinen Sitz im Hotel Prokop in Železná Ruda (Böhmisch-Eisenstein). Verhandlungspartner auf amerikanischer Seite war Brigadegeneral Ralph J. Canine vom XII. Corps (Canine wurde dann der erste Direktor der National Security Agency/NSA). Letztendlich kapitulierte die ROA-Luftwaffe am 27. April zwischen Zwiesel und Regen. Es schlossen sich noch 2.000 Weißruthenen an: Vermutlich die Reste der 30. Division der Waffen-SS. Das Ende all dieser von den Sowjets als Verräter betrachteten Kämpfer war schrecklich, da sie von den Amerikanern ausgeliefert wurden.

Viel weiter nördlich, zwischen Eslarn und Hostau, fand der Vorstoß der 2nd Cavalry bekanntlich erst am 28. April statt. Da ging es offensichtlich nur noch um die Lipizzaner. Die einfachen Soldaten bekamen vom Spiel der Großen und Mächtigen - Obristen und Generale, die den BND und die NSA mit begründeten und hochrangige Politiker wurden - nichts mit, sondern zahlten oft genug den Preis in Form von Tod, Verwundung oder Gefangenschaft.

(Fortsetzung folgt!)

Bildquelle des Vorschaubilds: National Archives/via Arbeitskreis Heimatforschung Bad Kötzting u. A. Dachs